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Bekanntgabe der Trägerinnen und Träger des Aachener Friedenspreises 2020

Am 21.09.2020, dem Internationalen Friedenstag, gibt der Aachener Friedenspreis e.V. seine diesjährigen Preisträger*innen bekannt. Die Vereinsmitglieder wählten auf ihrer Versammlung am 01.09.2020, dem Antikriegstag, der üblicherweise das Datum der Preisverleihung ist, diesmal coronabedingt verspätet zwei sehr engagierte Initiativen bzw. Personen für die Auszeichnung mit dem international renommierten Preis.

Auch die Preisverleihung wird trotz Pandemie wieder an einem symbolträchtigen Tag stattfinden. Der Verein vergibt seinen Preis passend zur menschenrechtsbezogenen Arbeit der Ausgezeichneten am 10.12.2020, dem internationalen Tag der Menschenrechte. Die Verleihung wird im Rahmen einer hybriden Veranstaltung stattfinden. Die Preisträger*innen, welche pandemiebedingt leider nicht persönlich anwesend sein können, werden per Video zugeschaltet und selbstverständlich auch zum teils persönlich und teils online anwesenden Publikum sprechen.

Ausgezeichnet werden Père Antoine Exelmans aus Marokko, der Menschen auf der Flucht unterstützt, sowie das Centro Gaspar Garcia de Direitos Humanos (Zentrum für Menschenrechte Gaspar garcia) aus Brasilien, vertreten durch Rechtsanwalt und Sozialarbeiter Benedito Roberto Barbosa, genannt Dito. Mehr Informationen zu den Preisträgern finden Sie unter dieser Pressemitteilung – dies ist ein Auszug aus der Pressemappe.

Die Laudatio wird – voraussichtlich live und persönlich anwesend – der langjährige Bundestagsabgeordnete und in zahlreichen Funktionen aktive Politiker der Linken, Gregor Gysi halten.

Seit 1988 zeichnet der Aachener Friedenspreis e.V. alljährlich Menschen und Gruppen aus, die an der Basis und oft aus benachteiligten Positionen heraus für Frieden und Verständigung arbeiten. Die Kriterien sind Teil der Gründungserklärung des Vereins“. Geehrt werden vor allem noch unbekannte Projekte oder Personen, die durch die öffentliche Aufmerksamkeit genauso viel Unterstützung erfahren wie durch das Preisgeld von jeweils 2.000 Euro. Eine Auszeichnung mit dem Aachener Friedenspreis verschafft Initiativen, die für den Frieden arbeiten nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit sondern schützt bedrohte und in schwierigen Bedingungen arbeitende Gruppen dadurch auch vor Repressionen und Gewalt.

Der Preis ist meist zweigeteilt und geht entsprechend an zwei verschiedene Initiativen oder Einzelpersonen, die sich von unten für Frieden und Dialog zwischen Konfliktparteien einsetzen. Wer den mit jeweils 2.000 Euro dotierten Preis erhält,  entscheidet die Mitgliederversammlung des Vereins. Vorschläge kann aber jeder interessierte Mensch einbringen, egal ob Vereinsmitglied und egal ob aus Aachen oder nicht. Aus den eingehenden Vorschlägen wählt der Vorstand die fünf förderungswürdigsten aus und legt sie der Mitgliedschaft vor. Die Mitgliederversammlung wählt dann die letztendlichen Preisträgerinnen oder Preisträger.

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Père Antoine Exelmans (Marokko)

Der französische katholische Priester Père Antoine Exelmans ist seit 3 ½ Jahren in Marokko. In Oujda, direkt an der algerischen Grenze, unterstützt er durch sein Engagement Menschen auf der Flucht. Von dort kommen die weitaus meisten Flüchtlinge ins Land und das Geschäft mit der Migration hat sich etabliert. Flüchtlinge leiden unter Misshandlungen, Gewalt, Erpressung und Menschenhandel. Père Antoine ist der Welt und den Menschen sehr zugewandt. Ohne Anschauung von Herkunft, Geschlecht oder Religion begleitet er insbesondere vulnerable Personen und setzt sich für Gerechtigkeit ein. Die Globalisierung, die kulturellen und religiösen Unterschiede sind für ihn der größte Schatz der Gesellschaft. „Wir müssen alle gemeinsam eine Welt aufbauen, wo jeder seinen Platz hat, anerkannt ist und ein Leben in Fülle führen kann.“

Zusammen mit seinem Team bemüht sich Père Antoine, Migrant*innen zu befreien und in Sicherheit zu bringen, die von Kriminellen gefangen gehalten werden. In seinem Gemeindezentrum finden sie eine sichere Notunterkunft, medizinische Versorgung und Beratung. Wenn im Winter das Gemeindezentrum für den Andrang der Schutzsuchenden nicht ausreicht, öffnet er die Kirche selbst als Schlafplatz. Seit 2018 ermöglichen er und sein Team, das Zentrum 24 Stunden jeden Tag im Jahr zu öffnen, damit Flüchtlinge in Not dort jederzeit eine Bleibe und Hilfe finden können.

Er unterstützt und berät die Flüchtlinge, wenn sie beim UNHCR einen Asylantrag stellen wollen oder Probleme mit der Botschaft ihres Landes haben. Dazu gehört auch, sie sicher dorthin zu bringen und sicher zurückzuholen. Er kümmert sich um die physische und psychische Gesundung der Vielen, die durch die manchmal jahrelange Flucht mit oft schrecklichen Erlebnissen traumatisiert sind. Bei den Jüngeren setzt er sich dafür ein, sie in das marokkanische Berufsbildungssystem zu integrieren. Im Rahmen eines ökumenischen Projekts half er dabei, für 15 Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge pro Jahr eine Berufsausbildungsmöglichkeit zu schaffen. Als in den ersten vier Monaten des Projekts mehr als 110 Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge um Hilfe baten, nahm er sie auf und sorgte dafür, dass die Kapazitäten für so viele Menschen angepasst wurden. Finanziell holte er Caritas International in Rabat ins Boot und initiierte außerdem ein Team von Freiwilligen, um die jungen Menschen zu unterstützen.

Père Antoine lebt mitten unter den Jugendlichen, begleitet sie, ist stets für sie da und isst mit ihnen, ganz egal woher sie kommen und ganz egal ob sie einer Religion angehören oder nicht. Sein Engagement begründet er mit Matthäus 25: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war nackt und ihr habt mich gekleidet…..“. Exelmans sagt: „Wenn unsere westlichen Gesellschaften Migration und den Islam verstehen wollen, müssen sie zumindest eine Zeitlang in Marokko leben.“ Ihm ist wichtig, sich für die Ärmsten der Armen einzusetzen, die am meisten leiden und keine Stimme haben.

Als Generalvikar (Vertreter des Kardinals und des Erzbischofs von Rabat Cristobal Lopez) arbeitet er auch wissenschaftlich zu Migration und interreligiösem Dialog. Zuvor war er Dozent am ökumenischen Institut Al Mowafaqa in Rabat, in dem katholische und evangelische Studenten in christlicher Theologie ausgebildet werden, aber auch intensiv den Islam und den interreligiösen Dialog kennenlernen können.

Der Aachener Friedenspreis möchte Père Antoine Exelmans und seinen selbstlosen Einsatz würdigen, aber auch erneut das Thema Flucht und Geflüchtete ins Bewusstsein rücken. Schon auf dem afrikanischen Kontinent, lange bevor Menschen auf der Flucht das Mittelmeer erreichen und damit in unsere medial geprägte Wahrnehmung gelangen, sind sie zahllosen Gefahren, unfassbarer Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt. Auf ihrem Weg treffen sie auf Menschen wie Exelmans, die ihr Möglichstes tun, um das schlimmste Leid zu verhindern oder zumindest zu lindern. Dies kann jedoch alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass unsere einzige Möglichkeit letztendlich die Beseitigung aller Fluchtursachen ist, also die Beendigung von Kriegen und Konflikten, die Armutsbekämpfung, Gesundheitsversorgung und Klimagerechtigkeit.

Centro Gaspar Garcia de Direitos Humanos (Zentrum für Menschenrechte Gaspar Garcia) (Brasilien)
vertreten durch den Rechtsanwalt und Sozialarbeiter Benedito Roberto Barbosa, genannt Dito
http://gaspargarcia.org.br/

Das Centro Gaspar Garcia (CGG) entstand im Jahre 1988 aus der Empörung über Gewalt gegen die arme Bevölkerung und strukturelle Ungerechtigkeit in São Paulo. Es ist nach dem am 11. Dezember 1978 in Nicaragua ermordeten spanischen Priester und Menschenrechtsaktivisten Gaspar Garcia benannt und handelt nach dem Grundsatz: „Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden, ohne Frieden gibt es keine soziale Gerechtigkeit“.

Die Metropolregion Grande São Paulo ist mit über 21 Millionen Einwohner*innen (knapp zehn Prozent aller Brasilianer*innen) eine der bevölkerungsreichsten Städte der Welt. Ein dramatischer Mangel an Wohnraum und horrende Mietpreise sind die Folge. Mehr als drei Millionen Menschen leben in São Paulo derzeit in prekären Wohnverhältnissen, über 15.000 sind obdachlos – Tendenz steigend. Immer wieder kommt es seitens der Stadtverwaltung zu Zwangsräumungen und Vertreibungen. Den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklungen markiert die Ermordung eines Obdachlosen im Januar dieses Jahres.

Unter der rechts-konservativen Regierung von Jair Bolsonaro fehlt der politische Wille, die Situation der Gewalt und sozialen Ungleichheit strukturell zu verändern. Wegen der Wirtschaftskrise wird die Armutsbekämpfung politisch nicht mehr forciert, Sozialausgaben werden gekürzt, die Rechte der Indigenen beschnitten und die soziale Spaltung im Land verschärft. Die Arbeitslosenzahlen als auch die im informellen Sektor Beschäftigten in Brasilien steigen nicht zuletzt auch aufgrund der Corona-Pandemie an. Insbesondere in São Paulo nimmt deshalb die Disparität zwischen dem Wohlstand im Zentrum und der extremen Armut in der Peripherie stetig zu: Die Armen werden immer weiter aus der Stadt herausgedrängt, das Recht auf menschenwürdiges Wohnen marginalisiert.

Das CGG leistet rechtlichen Beistand und sensibilisiert öffentliche Entscheidungsträger*innen. So hat es in den letzten Jahren über 13.000 Familien in prekären Wohnverhältnissen vor den häufig gewaltbegleiteten Zwangsvertreibungen bewahrt. Jährlich betreut das CGG außerdem mehr als 500 Obdachlose sozialpsychologisch. Über das Reintegrationsprojekt Reviravolta wird ihnen der ansonsten nahezu unmögliche Wiedereinstieg in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt ermöglicht. Darüber hinaus bietet das vom CGG gegründete Forum der Straßenhändler*innen eine Anlaufstelle für knapp 2.000 Personen, insbesondere Frauen. Daraus entwickelten sich u.a. drei Verbände, in denen die alltägliche Gewalt und Willkür gegenüber Frauen thematisiert und Verbesserungsvorschläge diskutiert werden. Von dem Engagement profitieren außerdem 120 Müllsammler*innen einer Müllrecycling-Kooperative, die im Übrigen einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das große Müllproblem der Stadt zu verringern.

In seiner Geschäftsstelle beschäftigt das CGG derzeit 20 Mitarbeitende. Hinzu kommt die enge Zusammenarbeit mit zahlreichen Personen aus Universitäten, öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen. Darüber hinaus gibt es unzählige Unterstützer*innen auf allen Ebenen, die für die zivile Gewaltbearbeitung und Menschenrechtsarbeit des CGG sensibilisiert sind. Benedito Barbosa ist beim CGG als Anwalt für die Bürgerbewegung angestellt. Er ist als Sozialarbeiter der Anwalt der Bewegung für Würdiges Wohnen und betreut insbesondere die Menschen, die einer informellen Arbeit nachgehen. Vor allem aber engagiert er sich, um Vertreibungen zu verhindern, Landtitel zu erkämpfen, Bleiberechte durchzusetzen und die Selbstverwaltung der Menschen zu unterstützen. Dito steht für die Kampagnen #Null Vertreibung und #Black lives matter (in jeweils den portugiesischen Versionen #Despejo Zero und #Vidas negras importam).

Lokale Unterstützer*innen bestätigen dem CGG mit ihrem Ehrenamt als auch mit punktuellen Spenden die gute zivilgesellschaftliche Verankerung der Arbeit. Dazu zählen das städtische Sozialsekretariat sowie die Staatsanwaltschaft von São Paulo. Neben dem Hilfswerk MISEREOR erfährt das CGG auch Unterstützung von weiteren internationalen Organisationen wie Christian Aid und die Ford Foundation. Ein fundamentaler Grundsatz der Arbeit des CGG richtet sich nach den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, wobei die Schwerpunkte auf Armutsbekämpfung, Geschlechtergerechtigkeit, Zugang zu menschenwürdigem Wohnen mit entsprechender Wasser- und Sanitärversorgung und der Gestaltung nachhaltiger Städte liegen. Das CGG ist daher eng mit anderen Nichtregierungsorganisationen, sozialen Bewegungen sowie öffentlichen und kirchlichen Institutionen vernetzt. Nur so kann nach Überzeugung der Aktiven ein gesamtgesellschaftlicher Veränderungsprozess gelingen.

Die Verleihung des Aachener Friedenspreises an das CGG, stellvertretend an den Menschenrechtsverteidiger Benedito Roberto Barbosa, wirft ein Schlaglicht auf soziale Ungleichheit und Menschenrechtsverletzungen. Dies sind nicht allein Probleme der Metropolregion São Paulo. Weltweit sorgen diese beiden Faktoren für Ungerechtigkeit und führen häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die vergangenen Jahre haben auch in Deutschland gezeigt, dass das Recht, in der Stadt zu leben, keine Selbstverständlichkeit ist. Die Folgen sind in São Paulo täglich sichtbar und das CGG kämpft hiergegen in vorbildlicher Weise. Die Auszeichnung soll Wertschätzung für Menschenrechtsarbeit ausdrücken und das CGG in der Konfliktbearbeitung und seinen Dialogprozessen mit Entscheidungsträger*innen bestärken.