Skip to main content

Aachener Friedenspreis 2019: Auszeichnungen für ukrainischen Journalisten und ausdauernden Protest gegen Atomwaffen am Fliegerhorst Büchel

Das Jahr 2019 bringt friedenspolitisch erneut wichtige Themen mit sich. Die Mitgliederversammlung des Aachener Friedenspreis e.V. entschied sich für eine Preisverleihung an den seit Jahren unter juristischen Schikanen leidenden Journalisten Ruslan Kotsaba aus der Ukraine und die Initiativen, die seit Jahrzehnten die in der Eifel stationierten Atomwaffen der USA anprangern.

Ruslan Kotsaba (Ukraine)

Der Journalist, Blogger und Aktivist Ruslan Kotsaba kommt aus Iwano-Frankiwsk in der Westukraine. Er unterstützte die Majdan-Proteste und arbeitete in seiner Heimat mit AktivistInnen zusammen. Kotsaba setzt sich für Verhandlungen und eine friedliche Lösung des Konflikts im Osten der Ukraine ein.

Das Land steht auf Platz 127 der Pressefreiheit. Dennoch gelang es Kotsaba, seine eigene Sicht der Dinge und nicht bloß die Meinung der Regierung oder der Bevölkerungsmehrheit wiederzugeben. Anders als die meisten seiner Kolleg*innen bemühte Kotsaba sich um objektive Berichterstattung. Als Einziger ukrainischer Journalist war er auf beiden Seiten der Front akkreditiert. Vor Gericht sagte er später: „Ich bin an der Front zum Pazifisten geworden“. Der Konflikt in der Ostukraine ist aus seiner Sicht eine humanitäre Katastrophe weltweiten Maßstabs. Der Wiederaufbau werde Jahrzehnte dauern, viel Geld und gemeinsame humanitäre Anstrengungen erfordern.

Mitte Januar 2015 wandte sich Ruslan Kotsaba mit einer Videobotschaft via Youtube an den damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und die ukrainische Öffentlichkeit. Darin bezeichnet er die militärischen Auseinandersetzungen im Osten des Landes als „Bürgerkrieg und Brudermord“ und fordert dringend dazu auf, den Krieg zu beenden. Alle vernünftigen Menschen sollten die neue Mobilmachungswelle boykottieren. Er würde jedenfalls eher fünf Jahre Gefängnis für Kriegsdienstverweigerung in Kauf nehmen, als gegen die Aufständischen im Osten des eigenen Landes zu kämpfen. 2014 und 2015 sollten sehr viele Männer für den Kriegsdienst in der ukrainischen Armee eingezogen werden. Im Westen der Ukraine gab es daraufhin zahlreiche Proteste gegen Krieg und Wehrpflicht.

Am 8. Februar 2015 wurde Ruslan Kotsaba mit dem Vorwurf des Landesverrats und der Behinderung der Arbeit der Streitkräfte verhaftet. Seither laufen immer wieder Gerichtsprozesse gegen ihn. Amnesty International nahm ihn in die Liste der politischen Gefangenen auf. Kotsaba erfährt zwar internationale Unterstützung, in seiner Heimat lähmt die Angst vor Repression jedoch jegliche Friedensaktionen und Kritik an der Regierung. Bei einer endgültigen verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Wegen besonders harter Umstände bereits in der Untersuchungshaft fürchtet Kotsaba um sein Leben.

Ruslan Kotsaba hat den Mut, als Einzelner gegen den Krieg und für friedliche Lösungen einzutreten. Seine Auszeichnung ist eine logische Fortführung der Preisverleihung an die Petersburger Soldatenmütter aus dem Jahr 2004. Diese stehen bis heute für die innerrussische Kritik am Militär. Der Aachener Friedenspreis e.V. hofft, Kotsaba durch die Preisverleihung auch in der neuen Situation nach der Präsidentschaftswahl in der Ukraine zu stärken.

Initiativkreis gegen Atomwaffen in Büchel, namentlich Elke Koller, und die Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt, namentlich Marion Küpker (Deutschland)

Auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern die letzten Relikte des kalten Krieges auf deutschem Boden: ca. 20 US-Atomwaffen des Typs B 61 Der „Initiativkreis gegen Atomwaffen“ streitet dort seit 1996 für den Abzug der US-Atombomben und die weltweite Abschaffung von Atomwaffen. Dazu organisiert die Gruppe alljährliche Proteste vor Ort, Aktionen zivilen Ungehorsams und Demonstrationen. Das bundesweite Netzwerk „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt!“ unterstützt die Aktionen seit mehreren Jahren. Seit 2015 finden regelmäßig mehrwöchige, gewaltfreie Blockaden des Atomwaffenstützpunktes und Aktionen zivilen Ungehorsams statt. Seit 2016 gibt es, beginnend mit dem Ostermarsch, jedes Jahr eine 20wöchige Aktions-Präsenz am NATO-Flughafen.

Der Initiativkreis ist immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Statt vor den Bomben haben viele Menschen der Region Angst um ihre Arbeitsplätze. Rund 1000 Soldat*innen sowie etwa 600 Zivilbeschäftigte arbeiten im Fliegerhorst. „Atomwaffen sind völkerrechtswidrig, und schon ihre Herstellung und die Forschung dafür haben verheerende Auswirkungen“, so Elke Koller vom Initiativkreis. Um zu erreichen, dass die Atomwaffen endlich abgezogen werden, reichte sie eine Klage gegen die Bundesregierung ein, die 2013 als unzulässig abgewiesen wurde. Gemeinsam mit Marion Küpker, der Sprecherin des Kampagnenrats von „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ wird Koller stellvertretend für die Büchel-Initiativen mit dem Aachener Friedenspreis geehrt.

Die politischen Rahmenbedingungen für den Abzug der Atomwaffen verschlechtern sich indes zusehens. Während die Bundesregierung noch 2009 im Koalitionsvertrag bekundete, sich für den Abzug der Atomwaffen einsetzenzu wollen, hat die schwarz-rote Koalition das Thema offenbar ad Acta gelegt. CDU und SPD bekennen sich zwar zum Ziel einer „Welt ohne Kernwaffen“. Bei der Abstimmung über eine UN-Resolution für ein weltweites Atomwaffenverbot stimmte Deutschland jedoch zusammen mit den USA und den meisten NATO-Staaten mit Nein. Die Bundesrepublik weigert sich bis heute, den inzwischen von zahlreichen Staaten unterzeichneten UN-Atomwaffenverbotsvertrag mitzuzeichnen. Die Vorgängerregierung hatte bereits 2012 dem US-amerikanischen Verlangen nach Modernisierung der in Büchel gelagerten Atomwaffen zugestimmt. Zielgenauere Atombomben sollen demnach Präzisionsschläge ermöglichen.

Angesichts der jüngsten Aufkündigung des INF-Vertrages droht zudem ein erneuter atomarer Rüstungswettlauf, was zwangsläufig die Kriegsgefahr erhöht. Es ist kein Tabu mehr, atomare Aufrüstung und sogar eine atomare Bewaffnung Deutschlands zu fordern. Führende NATO-Kommandeure erklären, es sei zwar nicht zwingend, aber „sehr wahrscheinlich“, dass es zu einem Atomkrieg mit Russland kommen werde. Sowohl auf russischer als auch auf US-Seite werden Modernisierung und Aufrüstung der Atomwaffenprogramme massiv vorangetrieben. Zwischen 2014 und 2024 wird Russland geschätzt 54 Mrd. US-Dollar für seine nuklearen Fähigkeiten ausgeben, die USA geschätzt 355 Mrd. US-Dollar.

Aus Sicht des Aachener Friedenspreis e.V. gehört das Thema Atomwaffen dringender denn je ganz nach oben auf die politische Agenda. Die Auszeichnung der Büchel-Initiativen lag daher für eine breite Mehrheit der Vereinsmitglieder auf der Hand – Der Verein wird auch im Rahmenprogramm zur Preisverleihung weiter auf dieses hochaktuelle Thema eingehen.

Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 jedes Jahr an Initiativen oder Einzelpersonen verliehen, die sich von unten für Frieden und Dialog zwischen Konfliktparteien einsetzen. Wer den mit jeweils 2.000 Euro dotierten Preis erhält,  entscheidet die Mitgliederversammlung des Vereins. Vorschläge kann aber jeder interessierte Mensch einbringen, egal ob Vereinsmitglied und egal ob aus Aachen oder nicht. Traditionell am 08.05., dem Tag der Befreiung vom Naziregime, werden die jeweiligen neuen Preisträger*innen vorgestellt. Die Preisverleihung findet dann in einem öffentlichen, feierlichen Akt am 01.09, dem internationalen Antikriegstag statt.