Friedensarbeit in Kolumbien gerät zunehmend unter Druck
Mit Sorge und Entsetzen verfolgt der Aachener Friedenspreis e.V. die aktuellen Entwicklungen um die Preisträgerinitiative aus dem Jahr 2007. Damals erhielt die Friedensgemeinde San José de Apartadó den Aachener Friedenspreis für ihren gewaltfreien Widerstand gegen die in Kolumbien wütenden Konflikte zwischen Paramilitärs. Friedensdörfer der Gemeinde stellen sich seit dem Jahr 1997 den Militärs und Paramilitärs durch radikale Friedlichkeit entgegen. Sie versorgen sich selbst, sind unabhängig und lassen sich nicht provozieren. Von ihnen geht keinerlei Aggression aus und sie beantworten keinen Angriff mit Gegengewalt.
Laut einem Bericht vom 20.09.2018 beobachten die Mitglieder der Friedensgemeinde zur Zeit wieder eine zunehmende paraMilitärpräsenz und eine Überwachung ihrer Aktivitäten durch uniformierte und bewaffnete Kämpfer. Von nationalen und internationalen Vertreter*innen begleitete Untersuchungskomitees der Gemeinde wurden teils mit Gewalt an ihrer Arbeit gehindert. Nachdem bereits in der Vergangenheit zahlreiche Mitglieder der Gemeinde wegen ihres ungewöhnlichen Protests diffamiert, verfolgt und ermordet wurden, sieht die Gemeinschaft nun erneut eine schwere Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte.
Im Bericht der Untersuchungskomitees heißt es: „Wie bereits bei unseren vorherigen Wanderungen wurde die große Anwesenheit paramilitärischer Strukturen festgestellt, die den größten Teil der Bezirke kontrollieren. In der Gegend von Córdoba sind diese Paramilitärs dabei, ein illegales Projekt für elektrische Energie voranzutreiben, welches im Bezirk La Union-Carepa des Distrikts Piedras Blancas beginnt und obligatorische Desinformationsstellen in Häusern der Zivilbevölkerung hat. Ausserdem werden Reparaturen der Strassen zwischen den Bezirken vorangetrieben und dort kontrollieren die Paramilitärs alles, angefangen vom Holztransport bis hin zur Polizei und öffentlichen Sicherheitskräften. Laut Aussage der Paramilitärs kommt die Armee nie in diese Gegend und wenn sie es doch einmal tut, dann ist vorher alles so arrangiert, dass sie nichts unternimmt.“
Die Friedensaktivist*innen berichten außerdem von zahlreichen Übergriffen. So marschierte am Dienstag, 11. September 2018 nach 19 Uhr eine Gruppe von ca. 70 Personen, laut diverser Hinweise durch die Paramilitärs koordiniert, illegal auf dem Gutshof La Roncona in der zentralen Siedlung der Gemeinde ein. Die Eindringlinge hinterließen ein Bild der Verwüsttung: Kakao, Bananen und Yucca-Anbauten wurden zerstört. Stengel und Sprossen wurden herausgerissen oder abgeschnitten und gekocht. Erst kürzlich war dort ein neuer Anbau organischer Kakaopflanzen angelegt worden. Durch die Invasion wurde alles dem Erdboden gleichgemacht. Am gleichen Tag drangen Paramilitärs in eine Siedlung der Gemeinde im Bezirk La Esperanza ein.
Erst am 13. September endete der Angriff auf La Roncona. Auf Druck nationaler und internationaler Solidaritätsgruppen wies die Polizei die Eindringlinge darauf hin, dass sie Grundrechte verletzten und sie zogen sich zurück. Zugleich kam jedoch eine Gruppe von Paramilitärs in das Friedensdorf Luis Eduardo Guerra im Bezirk Mulatos Medio, das ebenfalls zur Friedensgemeinde gehört. German Graciano Posso, Träger des Nationalpreises der Menschenrechtsverteidiger und offizieller Vertreter der Friedensgemeinde, wurde am Dienstag, dem 18.09.2018 zum wiederholten Mal telefonisch durch den Paramilitär John Edison Goez, alias „Pollo“ bedroht. Die Gemeinschaft erhielt in den vergangenen Tagen Informationen über erneute Pläne, das Gut La Rocona zu besetzen. Zu diesem Zweck wurden die umliegenden Bezirke La Victoria, San José, Mulatos, La Unión und andere aufgefordert, diese geplante Invasion mit jeweils mindestens 10 Personen zu unterstützen.
Siedlungen der Gemeindemitglieder befinden sich sowohl im ländlichen Bereich von San José de Apartadó als auch in der Gemeinde von Tierralta im Department Córdoba. Seit Gründung der Friedensgemeinde im März 1997 wurden verschiedene Gemeinschaftsgrundstücke gekauft, damit sich die Gemeinde autonom mit selbst angebauten Nahrungsmitteln versorgen konnte. Das Zentrum der Gemeinde besteht heute aus zwei Gutshöfen, die die Versorgung sicherstellen. Die wirtschaftlichen Blokaden der Paramilitärs im Laufe der letzten 21 Jahre ließen der Gemeinde keine anderen Überlebenschancen als die Versorgungsautonomie. Die Versuche, die Höfe zu zerstören und den Menschen ihre Lebensgrundlage zu entziehen, sind klare Angriffe auf die Gemeinde.
Die Friedensgemeinde musste über 21 Jahre mitten in dem bewaffneten Konflikt überleben. Auf dem Weg, ihr Recht auf ein Leben in Frieden zu verteidigen, hat sie viele Menschen verloren. Mitglieder wurden ständig vom Staat verfolgt und von den Paramilitärs bedroht. Die paramilitärischen Gruppen expandieren derzeit immer weiter, indem sie Hunderte von jungen Bauern auf ihre Seite ziehen. Seit 2016, als das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der FARC-EP unterzeichnet wurde, festigt sich die kriegerische Strategie dieser Gruppen.
2018 ging der Aachener Friedenspreis nach langer Zeit wieder an eine kolumbianische Organisation bzw. ihre Vertreter*innen. Siobhan McGee und Jaime Bernal leisten mit ihrer zivilgesellschaftlichen Bildungs- und Versöhnungsarbeit einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden Kolumbiens. Concern Universal Colombia arbeitet in der Stadtt Ibagué und in der gesamten Provinz Tolima. Sie initiierten Kinderbetreuung, Seniorenbildung, Kleinstbetriebe, politische Bildung zu den Themen Menschenrechte, Frauenrechte und Kinderrechte sowie Bildungs- und Beratungsangebote für junge Männer, die zum Militärdienst eingezogen werden sollten. Seit der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit der FARC hat ihre Arbeit an Bedeutung gewonnen. In der Postkonfliktphase, die das Land zur Zeit durchmacht, betreibt auch die neue Regierung die Umsetzung des Friedensvertrags nur sehr halbherzig. Der Staat ist in vielen Regionen Kolumbiens nicht anwesend, um Menschen zu beschützen. Allein im Jahr 2017 wurden weit über 100 Menschenrechtsaktivist*innen getötet.
Die überwunden geglaubten Konflikte flammen mehr und mehr wieder auf. Mit der Bitte um Unterstützung und Einwirkung auf die kolumbianische Regierung wendet sich der Aachener Friedenspreis e.V. daher nun auch an Bundesaußenminister Heiko Maas. „Wenn hier nicht bald ein ernstzunehmender Friedensprozess beginnt, sind zahllose weitere Menschenleben in Gefahr“, kommentiert Lea Heuser, Pressesprecherin des Aachener Friedenspreis e.V. „Wir sichern unseren Preisträgerinnen und Preisträgern in Kolumbien alle Unterstützung zu, die wir geben können. Friedliches Engagement ist gerade in einer Atmosphäre von Repression und Zerstörung das einzige Erfolgsprinzip und zugleich die größte Motivation“.