Mwatana for Human Rights (Jemen)
Seit 2007 setzt sich die jemenitische Nichtregierungsorganisation Mwatana gegen Menschenrechtsverletzungen im Jemen ein. Sie dokumentiert von allen Konfliktparteien verursachte zivile und kulturelle Zerstörungen und leistet rechtliche Unterstützung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen und willkürlichen Verhaftungen. In sozialen Medien, Filmen, Broschüren und Radiokampagnen schärft Mwatana das Bewusstsein der Menschen für ihre Rechte, ermutigt und qualifiziert sie für menschenrechtliches Engagement. Handlungsleitend dabei sind die Prinzipien der Gewaltlosigkeit, Objektivität, Inklusivität, Neutralität, Integrität und Unabhängigkeit. Mwatana hält zu allen Konfliktparteien gleiche Distanz, ist unabhängig von Regierungen, Parteien und Organisationen. Mit internationalen Menschenrechtsorganisationen ist Mwatana gut vernetzt.
Die Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten behindert durch Sperrung des Luftraums und Blockade der Seehäfen seit Langem die Einfuhr lebenswichtiger Nahrungsmittel und medizinischer Güter in den Jemen. Die vom Iran unterstützten und bewaffneten Houthi-Rebelllen, die Ende 2014 die Hauptstadt Sana’a gewaltsam übernommen und ihre Kontrolle dann auf einen Großteil des Landes ausgedehnt hatten, haben ebenso schlimmste Menschenrechtsvergehen zu verantworten durch den Beschuss von Zivilpersonen, den Einsatz von Minen und die Behinderung humanitärer Hilfslieferungen.
Zahlreiche UN-Berichte belegen, dass alle Konfliktparteien im Jemen schwere Verstöße gegen Grundregeln des Völkerrechts und humanitäre Normen begangen haben, die die Lebensfähigkeit der jemenitischen Bevölkerung zunehmend verschlechtern. Rund 30 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten (80% der Bevölkerung) sind auf humanitäre Hilfe oder Unterstützung durch Hilfsorganisationen angewiesen. Die Zahlen steigen Jahr für Jahr. Dabei ist die Einordnung von UN-Generalsekretär Antonio Guterres eindeutig: Die Krise im Jemen ist menschengemacht, sie ist direkte Folge des Krieges.
Mwatana setzt sich bei Treffen und Veranstaltungen mit Regierungsmitgliedern und anderen Interessengruppen für die Menschenrechtsarbeit im Jemen ein. Seit 2013 veröffentlicht die Organisation international hoch angesehene Berichte und Reportagen. Mit der Regionalisierung des gewaltsamen inner-jemenitischen Konflikts ab Frühjahr 2015 wurde besonders Mwatana-Vorsitzende Radhya Al-Mutawakel zu einer wichtigen nationalen und internationalen Stimme im Kampf gegen Straflosigkeit und für Wiedergutmachung. Seit einigen Jahren baut die Organisation ihre Arbeit zu Übergangsjustiz, Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung aus. In all diesen Bereichen arbeitet Mwatana direkt mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen, Augenzeug*innen, medizinischen und humanitären Helferinnen und Helfern zusammen, um anhand der primären Informationsquellen Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Das Team Forschung und Studien beobachtet und dokumentiert Vorfälle ziviler Schäden durch Feldbesuche, Interviews mit Zeug*innen und andere Formen der Beweismittelforschung.
Getragen wird die oft unter schwierigen bis lebensbedrohlichen Umständen umgesetzte Arbeit von rund 100 Mitarbeitenden, davon mehr als die Hälfte Frauen, die in der Zentrale in der Hauptstadt Sana’a und Zweigstellen in derzeit 17 Regierungsbezirken tätig sind. In 20 von 21 Regierungsbezirken sind Basisgruppen aktiv. Alle Mitarbeitenden von Mwatana sind jemenitische Staatsbürgerinnen und -bürger. Die Position der juristischen Direktorin für Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung ist durch eine internationale Expertin besetzt. Mwatana finanziert sich durch Partnerschaften mit verschiedenen Gebern wie UNICEF, der niederländischen Botschaft und der deutschen Botschaft im Jemen, der Open Society Foundation, Misereor und anderen. Einen Teil der Aktivitäten kann Mwatana aus eigenen Mitteln finanzieren.
Die Auszeichnung mit dem Aachener Friedenspreis soll Mwatana weiter in ihrem Engagement stärken und stellvertretend den Opfern von Menschenrechtsverletzungen in diesem beinahe vergessenen Konflikt Gehör verschaffen. Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen nimmt im Umfeld des verstetigten Konflikts im Jemen weiterhin alarmierend zu. So lange Verantwortliche nichts zu befürchten haben, verüben sie aus Machtinteressen schwere Menschenrechtsvergehen, die den Konflikt zusätzlich anheizen. Auch vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine steht die jemenitische Menschenrechtsorganisation exemplarisch, nicht zuletzt, um Strafflosigkeit in gewaltsamen Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen Einhalt zu gebieten.