Skip to main content

Verleihung des Aachener Friedenspreises 2022 an Mwatana for Human Rights (Jemen) und Holger Rothbauer (Tübingen)

Am 1. September 2022 verleiht der Aachener Friedenspreis e.V. seine gleichnamige Auszeichnung. Die Preisverleihung an die jeminitische Organisation Mwatana for Human Rights und den tübinger Anwalt Holger Rothbauer steht im Zeichen der Menschenrechte und findet nach zwei Jahren der pandemiebedingten Terminverschiebungen erstmals wieder am internationalen Antikriegstag statt. Beginn ist um 19 Uhr in der Aula Carolina, Pontstraße 7 – 9 in 52062 Aachen. Die Veranstaltung kann via Livestream von überall auf der Welt verfolgt werden, den entsprechenden Link finden Sie am 1. September auf der Homepage des Vereins unter https://www.aachener-friedenspreis.de/.

Die Laudatio hält Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin. Mit den diesjährigen Preisträger*innen verbindet ihn einerseits sein Beruf als Rechtsanwalt, andererseits die langjährige Kooperation mit Mwatana for Human Rights.

Folgend finden Sie einige Informationen zur Arbeit der diesjährigen Trägerinnen und Träger des Aachener Friedenspreises.

Holger Rothbauer (Deutschland)

Der Menschenrechtsanwalt Holger Rothbauer kämpft vor Gericht und in der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten gegen illegale Waffenexporte deutscher Rüstungskonzerne und für eine rechtliche Neuaufstellung der deutschen Rüstungsexportkontrolle. In Prozessen vertritt er verschiedene Mandant*innen, mal aus der Zivilgesellschaft, mal einen Ex-Mitarbeiter von Heckler & Koch als Whistleblower. Seine Arbeit ist in Teilen pro bono, in Teilen finanziert von den Initiativen und Mandant*innen, die er vertritt.

Rothbauer hat mit seiner Kanzlei in Tübingen mehrere Anzeigen wegen des Verdachts illegaler Rüstungsexporte eingereicht. Zu den bekanntesten Fällen, die auf von Holger Rothbauer erstellte und eingereichte Strafanzeigen zurückgehen, gehören die Fälle Heckler & Koch[1] und Sig Sauer. Heckler & Koch exportierte tausende G36-Sturmgewehre illegal nach Mexiko, Sig Sauer zehntausende Pistolen nach Kolumbien. In beiden Fällen wurden Verantwortliche der Kleinwaffenhersteller verurteilt und die Umsätze der illegalen Geschäfte in Millionenhöhe eingezogen[2]. Rothbauer pocht auch immer wieder durch Klagen auf Herausgabe von Informationen zu einzelnen Exporten nach dem Informationsfreiheitsgesetz, um diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Als wichtiges Bindeglied zwischen Initiativen der Zivilgesellschaft ist Rothbauer in den Organisationen „Ohne Rüstung Leben“ und „pax christi“, als Mitinitiator und Anwalt der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und in der Fachgruppe „Rüstungsexporte“ der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) aktiv. Mit Letzterer gibt er jährlich einen Rüstungsexportbericht als Schattenbericht zu jenem der Bundesregierung heraus. Zudem hat er zur Aufarbeitung illegaler Waffenexporte in deutschen Medien beigetragen, etwa zu zwei Themenabenden „Waffenhandel“ der ARD, bei denen die Dokumentationen „Tödliche Exporte“ 1 und 2 sowie die Spielfilme „Meister des Todes“ 1 und 2 gezeigt wurden. An einer Ausgabe der Sendung „Die Anstalt“ des ZDF zu Rüstungsexporten 2018 wirkte er ebenfalls mit.

Mit der systematischen juristischen Aufarbeitung leistet Holger Rothbauer einen wichtigen Beitrag dazu, vermeintlich unangreifbare Personen aus Industrie und Politik zur Rechenschaft zu ziehen. Er macht die internationalen Auswirkungen der Fertigung deutscher Waffen transparent und setzt sich für eine gesetzliche Verankerung der bisher mangelhaften Rüstungsexportkontrolle ein. Für das kommende Jahr fordert er den Abschluss eines wirklich restriktiven Rüstungsexportkontrollgesetzes mit einem Verbandsklagerecht.

Die langwierige und aufwändige Arbeit erfordert Kreativität bei der Recherche über Whistleblower, Netzwerkarbeit, Aktenstudium und unzählige Anträge. Neben seinem Engagement gegen illegale Rüstungsexporte betreut Holger Rothbauer Menschen in Abschiebehaft in der JVA Rottenburg. Seine Motivation zieht er einerseits aus den universellen Werten der Menschenrechte, andererseits aus seinem christlichen Glauben.

Die juristische Seite der Aufarbeitung von Rüstungsdeals wird oft vernachlässigt und nur von wenigen Jurist*innen vorangetrieben. Die Auszeichnung Rothbauers mit dem Aachener Friedenspreis soll den Blick auf dieses Thema lenken und junge Jurist*innen für den Bereich der Rüstungsexportkontrolle motivieren.

[1] https://www.npla.de/thema/tagespolitik/auch-das-wirtschaftsministerium-muss-vor-gericht/
[2] https://www.tagesschau.de/inland/sig-sauer-bundesgerichtshof-101.html,
https://taz.de/Entscheidung-des-Bundesgerichtshof/!5779367/,
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/heckler-und-koch-illegale-waffenexporte-was-das-mexiko-urteil-des-bgh-fuer-die-ruestungsbranche-bedeutet/27053894.html

Mwatana for Human Rights (Jemen)
https://mwatana.org/

Seit 2007 setzt sich die jemenitische Nichtregierungsorganisation Mwatana gegen Menschenrechtsverletzungen im Jemen ein. Sie dokumentiert von allen Konfliktparteien verursachte zivile und kulturelle Zerstörungen und leistet rechtliche Unterstützung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen und willkürlichen Verhaftungen. Durch Medienkampagnen schärft Mwatana das Bewusstsein der Menschen für ihre Rechte, ermutigt und qualifiziert sie für menschenrechtliches Engagement. Handlungsleitend dabei sind die Prinzipien der Gewaltlosigkeit, Objektivität, Inklusivität, Neutralität, Integrität und Unabhängigkeit. Mwatana hält zu allen Konfliktparteien gleiche Distanz, ist unabhängig von Regierungen, Parteien und Organisationen. Mit internationalen Menschenrechtsorganisationen ist Mwatana gut vernetzt.

Die Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten behindert durch Sperrung des Luftraums und Blockade der Seehäfen seit Langem die Einfuhr lebenswichtiger Nahrungsmittel und medizinischer Güter in den Jemen. Die vom Iran unterstützten und bewaffneten Houthi-Rebelllen, die Ende 2014 die Hauptstadt Sana’a gewaltsam übernommen und ihre Kontrolle dann auf einen Großteil des Landes ausgedehnt haben, verantworten ebenso schwerste Menschenrechtsvergehen durch den Beschuss von Zivilpersonen, den Einsatz von Minen und die Behinderung humanitärer Hilfslieferungen.

Laut UN-Generalsekretär Antonio Guterres ist Die Krise im Jemen als direkte Folge des Krieges menschengemacht. Zahlreiche UN-Berichte belegen, dass alle Konfliktparteien im Jemen schwere Verstöße gegen Grundregeln des Völkerrechts und humanitäre Normen begangen haben. Rund 80% der jemenitischen Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe oder Unterstützung durch Hilfsorganisationen angewiesen. Die Zahlen steigen stetig, allein seit Beginn des Ukrainekriegs sind die Lebensmittelpreise zusätzlich um 150% in die Höhe geschnellt.

Mwatana setzt sich gegenüber Regierungsmitgliedern und anderen Interessengruppen für die Menschenrechtsarbeit im Jemen ein. Seit 2013 veröffentlicht die Organisation international hoch angesehene Berichte und Reportagen und baut seit einigen Jahren ihre Arbeit zu Übergangsjustiz, Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung aus. In all diesen Bereichen arbeitet Mwatana direkt mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen, Augenzeug*innen, medizinischen und humanitären Helferinnen und Helfern zusammen, um anhand ihrer Berichte Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Das Team Forschung und Studien beobachtet und dokumentiert Vorfälle ziviler Schäden durch Feldbesuche, Interviews mit Zeug*innen und andere Formen der Beweismittelforschung.

Getragen wird die oft unter schwierigen bis lebensbedrohlichen Umständen umgesetzte Arbeit von rund 100 Mitarbeitenden, davon mehr als die Hälfte Frauen, die in der Zentrale in der Hauptstadt Sana’a und Zweigstellen in derzeit 17 Regierungsbezirken tätig sind. In 20 von 21 Regierungsbezirken sind Basisgruppen aktiv. Alle Mitarbeitenden von Mwatana sind jemenitische Staatsbürgerinnen und -bürger. Die Position der juristischen Direktorin für Rechenschaftspflicht und Wiedergutmachung ist durch eine internationale Expertin besetzt.

Der Aachener Friedenspreis möchte Mwatana weiter in ihrem Engagement stärken und stellvertretend den Opfern von Menschenrechtsverletzungen in diesem beinahe vergessenen Konflikt Gehör verschaffen. Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen nimmt im Umfeld des verstetigten Konflikts im Jemen weiterhin alarmierend zu. So lange Verantwortliche nichts zu befürchten haben, verüben sie aus Machtinteressen schwere Menschenrechtsvergehen, die den Konflikt zusätzlich anheizen. Auch vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine steht die jemenitische Menschenrechtsorganisation exemplarisch, nicht zuletzt, um Strafflosigkeit in gewaltsamen Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen Einhalt zu gebieten.

Hintergrund:

Seit 1988 zeichnet der Aachener Friedenspreis e.V. alljährlich Menschen und Gruppen aus, die sich an der Basis und oft aus benachteiligten Positionen heraus für Frieden und Verständigung einsetzen. Die Kriterien sind Teil der Gründungserklärung des Vereins“. Geehrt werden vor allem noch unbekannte Projekte oder Personen, die durch die öffentliche Aufmerksamkeit mehr Unterstützung erfahren als durch das eher symbolische Preisgeld von jeweils 2.000 Euro. Eine Auszeichnung mit dem Aachener Friedenspreis verschafft Initiativen, die für den Frieden arbeiten, nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit sondern schützt bedrohte und in schwierigen Bedingungen arbeitende Gruppen dadurch auch vor Repressionen und Gewalt.

Der Preis ist meist zweigeteilt und geht entsprechend an zwei verschiedene Initiativen oder Einzelpersonen, die sich von unten für Frieden und Dialog zwischen Konfliktparteien einsetzen. Oft handelt es sich um einen deutschen und einen internationalen Preis, dies ist jedoch nicht festgelegt. Wer den mit jeweils 2.000 Euro dotierten Preis erhält,  entscheidet die Mitgliederversammlung des Vereins. Vorschläge kann aber jeder interessierte Mensch einbringen, egal ob Vereinsmitglied und egal ob aus Aachen oder nicht. Aus den eingehenden Vorschlägen wählt zunächst der Vorstand die fünf förderungswürdigsten aus und legt sie der Mitgliedschaft vor. Die Mitgliederversammlung wählt dann die letztendlichen Preisträgerinnen oder Preisträger.

Verliehen wird der Aachener Friedenspreis immer am 1. September, dem internationalen Antikriegstag. In der 34jährigen Vereinsgeschichte wurde von diesem Termin nur zweimal abgewichen, in den ersten beiden Jahren der Covid-19-Pandemie 2020 und 2021.